Gestern, am 09. März kam es zu einem improvisierten Lawinenrettungseinsatz im Umfeld der Hütte.
Zwei Schitourengeher hatten bei der Querung unterhalb der Grünen Kuppe ein Schneebrett ausgelöst, ein Bergsteiger war komplett verschüttet. Diesen Einsatz will ich aus meiner persönlichen Sicht als Hüttenwirt schildern.
Lawinenabgang vom Zimmerfenster aus beobachtet
Eine Dame war aufgrund der windigen Wetterbedingungen nicht mit auf Tour gegangen und konnte den Lawinenabgang von Ihrem Zimmerfenster aus beobachten. Daraufhin lief Sie in die Gaststube und alarmierte mich. Von der Terrasse aus überzeugte ich mich mit dem Fernglas davon, dass es sich um keinen Fehlalarm handelt.
Improvisiertes Rettungsteam und Notruf
Da es Mittagszeit war, befanden sich vor der Hütte einige Schibergsteiger in voller Montur, die gerade bei uns einkehren wollten. Diese schickte ich zur Ersthilfe sofort an den Unfallort. Weitere Hüttengäste rüsteten sich aus um zur Hilfe zu eilen. Ich selbst setzte den Notruf ab, der diesmal von einem Mitarbeiter in Wien angenommen wurde. Es lief alles sehr professionell ab, mit umfassendem Fragenkatalog, z.B. ob es an der Unfallstelle objektive Gefahren gibt oder welche Farbe der Hubschraubereinweiser hat, ich war allerdings auf Nadeln. Natürlich wollte ich persönlich an den Einsatzort und wurde etwas ungeduldig bevor ich auflegte.
Schnell schlüpfte ich in meine Ausrüstung, besprach mich noch kurz mit meinem Chefkellner Mario und gab ihm ein Funkgerät um die Verbindung zu halten. Es gibt ja im hinteren Ochsental meist keinen Mobilfunkempfang. Nachdem ich mit den Schiern losgefahren bin merkte ich, hoppla, ich habe ja mein VS nicht eingepackt. Zurück zur Hütte? Nein! – Mehr oder weniger freundlich fragte ich einen meiner aktivierten Hüttengäste auf dem Weg zur Lawine, ob er mir sein Pieps Gerät abtreten könnte und weiter ging es.
Am Lawinenkegel
Der Unfallort liegt leicht unterhalb der Hütte und war in der Spur abfahrend sehr rasch erreichbar. Auf den letzten Metern zur Lawine war ich sehr positiv überrascht, dass der Verschüttete offenbar schon gefunden war, den es wurde bereits eifrig geschaufelt und das Geschehen machte einen organisierten, keinesfalls kopflosen Eindruck wie von mir befürchtet. Aus den Schi heraus sank ich gleich bis zu den Knien im pulvrigen Lawinenschnee ein und legte keuchend die letzten Meter zurück. Der Kopf des Verschütteten und der Oberkörper waren bereits befreit und zwei Retter waren mit der Reanimation beschäftigt. Jedoch waren die Beine verdreht und steckten noch in den Bindungen der Schi, tief im Schnee.
Glück mit dem Rettungsteam
Offenbar hatten wir großes Glück mit dem improvisierten Rettungsteam. Einer der Ersthelfer war Tourenführer des Alpenvereines und hatte vor kurzem einen Kurs gemacht, von der VS Suche bis zum Sondenstich klappte alles wie aus dem Lehrbuch. Glücklicherweise wurde als Erstes der Kopf des Verunfallten ausgegraben. Dann waren sogar zwei Ärzte am Unfallort, einer kam von der Hütte, der Andere hat mit seiner Partnerin die Rettungsaktion auf der Rückfahrt von der Tour beobachtet und eilte ebenfalls herbei. Da ich den Eindruck hatte, dass ich weder das Ausgraben noch die ärztliche Betreuung irgendwie besser machen könnte, beschränkte ich mich darauf die organisierte Rettung, d.h. vor allem die Hubschrauberlandung vorzubereiten. Ich organisierte ein Materialdepot damit nichts herumfliegt und einen Hubschrauberlandeplatz auf dem Lawinenkegel.
Kommunikation mit der organisierten Rettung
Vor Allem funkte ich Mario auf der Hütte an damit er der Einsatzzentrale bekannt gibt, dass der Verunfallte bereits gefunden ist und die Reanimation gestartet wurde. Aus der Vergangenheit wusste ich, dass diese Kommunikation und die Information ganz wichtig ist, damit der Einsatz richtig ablaufen kann. Ein Lawinenalarm ist ab dem ersten Moment ein Großalarm, es werden Hubschrauber, Bergrettungsmänner, Hunde, Polizei etc. alarmiert. Wenn das Unfallopfer noch unter der Lawine liegt, dann müssen zuerst Rettungsmänner vor Ort die suchen, ausschaufeln und bergen. In unserem Fall war das Opfer schon heraussen und es war wichtig so bald als möglich den Notarzt und eine medizinische Versorgung auf die Lawine zu bringen. In meiner Vergangenheit habe ich eine Erfahrung, wo wir an vorderster Front das Opfer ausgeschaufelt hatten, jedoch im Eifer des Gefechtes die Kommunikation mit dem Einsatzkräften im Tal vernachlässigt wurde. Aufgrund der unklaren Lage für die Einsatzleitung kam damals fast ein Wirbel heraus.
Vitalzeichen und Hubschrauberlandung
Während die Reanimation lief, bereiteten wir zu zweit mit den Schi einen Hubschrauberlandeplatz auf dem Auslaufkegel der Lawine vor. Es war eine etwas flachere Stelle mit nur leichter Neigung. Der Schnee war sehr weich aber immer noch besser als im freien Gelände. Ich wusste, dass der Anflug und die Landung für den Piloten durch den aufgewirbelten trockenen Schneestaub und den anhaltenden Südwind schwierig sein würde. Plötzlich bemerkte ich, dass der Verletzte nicht mehr reanimiert wurde, und ich fing schon an zu schimpfen. Aber die Ärzte beruhigten mich, der Verletzte hatte Puls und stöhnte. Eine Unterlage mit Rettungsfolie und Jacken wurde vorbereitet und der Verletzte auf diese Unterlage in besserer Position umgelagert. Während dieser Aktionen hatte ich zur Motivation die Information bekannt gegeben dass der Hubschrauber unterwegs ist und wirklich, ca. 15 Minuten nach meinem Eintreffen auf der Lawine hörte ich die Rotoren brummen. Eine sehr gute Zeit, da der Anflug in den hintersten Winkel Vorarlbergs doch ein gutes Stück ist! Ich stellte mich am vorbereiteten Landeplatz mit dem Rücken zum Wind und kniete mich nieder um den Piloten einzuweisen und ihm in dem ganzen Schneewirbel einen Anhaltspunkt zu geben. Leider hatte ich in der Eile keine Brille zum Schutz mitgenommen, ich konnte nur ein wenig blinzeln und sah fast nichts, da mich die feinen Schneekristalle sehr in den Augen schmerzten. Der Hubschrauber Gallus 2 konnte aufsetzen und der Flugbegleiter und der Notarzt stiegen aus. Danach flog der Hubschrauber aber für einen 2. Anflug wieder ab, da er quer zum Hang aufsetzen wollte um nicht abzurutschen.
Der Notarzt ist da
Es ist immer wieder erstaunlich wie sehr die Anwesenheit des Notarztes beruhigend auf das Geschehen wirkt. Die Anspannung und wohl auch die gefühlte Verantwortung fällt zu einem guten Teil ab. Es werden Infusionen gelegt, Messgeräte installiert, die Beatmung etc. sichergestellt. Der Weitertransport erfolgt erst, wenn der Verletzte so gut als möglich stabilisiert ist.
Während dieser Zeit kam vom Talgrund ein weiterer Helfer, ein junger Bergführer aus dem Stubai herauf. Er war vom Piz Buin durch das Ochsental abgefahren und befand sich auf dem Wiederaufstieg zur Hütte, bemerkte dabei den Auflauf auf dem Lawinenkegel und schloss sofort, dass es sich nicht um eine Übung handeln kann. Seine Gäste schickte er auf die Hütte und kam auch zu Hilfe. Obwohl der Verletzte schon gefunden war, war diese auch wertvoll, denn es mussten Geräte hin- und hergebracht, der Verletzte noch einmal auf die Rettungstrage umgebettet und schließlich mit gemeinsamer Anstrengung zum Hubschrauber getragen und verladen werden. Da ist jede zupackende Hand gefragt!
Übersichtsbild Lawinenkegel mit Notarzthubschrauber – Polizeibild
Abflug Notarzthubschrauber und Nachbesprechung auf der Hütte
Ein kurzer Gruß an die Hubschrauberbesatzung und nach dem Abflug schlug ich vor, dass wir uns alle auf der Hütte treffen, um möglichst das Material wieder auszutauschen und das Ganze noch einmal gemeinsam zu besprechen. Ich stieg hinter dem jungen Bergführer schnell zur Hütte auf, denn es war ja Geschäftszeit, bei der schwierigen Wetterlage gibt es laufend Absagen und Umbuchungen und ich konnte Mario mit dem Tagesgeschäft nicht zu lange allein lassen. Hinter uns landete dann der Polizeihubschrauber auf der Lawine um den Unfall aufzunehmen.
Im Nachgang hatte ich auch noch Kontakt mit der Alpinpolizei. Wir wissen dass der Verletzte ins Landeskrankenhaus auf die Intensivstation gebracht wurde und sich im künstlichen Tiefschlaf befindet. Das genaue Ausmaß der Verletzungen durch die Verschüttung wird sich in den kommenden Tagen zeigen, wir hoffen und wünschen das Beste.
Eine kurze Analyse und persönliche Gedanken
Bei dieser Aktion sind viele unwahrscheinliche Dinge sehr gut gelaufen. Wenn die Dame den Unfall nicht bemerkt hätte, wäre es undenkbar so rasch Hilfe zu organisieren. Der Unfallort befand sich in Hüttennähe. Wenn die Ersthelfer nicht eine so gute Ausbildung und eine entschlossene Persönlichkeit gehabt hätten, wäre der Verunfallte nie so schnell gefunden und ausgegraben worden. Und selten sind gleich zwei Ärzte für die Wiederbelebung vor Ort. Trotzdem hatte ich den Eindruck es ist alles mit einer großen Selbstverständlichkeit abgelaufen, keiner musste über sich selbst hinauswachsen sondern hat nur das Notwendige entsprechend seiner Fähigkeiten getan. Aber: es hat sich auch keiner vor der Situation und seiner Verantwortung gedrückt. Dank und Anerkennung an jeden der mitgeholfen hat!
Als Hüttenwirt muss ich sagen dass es heuer relativ viel Schnee aber doch auch einen guten Schneedeckenaufbau gibt und das Hüttenumfeld nicht besonders lawinengefährlich ist. Der Unfall ereignete sich in einem Bereich der bei diesen Verhältnissen nicht begangen oder befahren werden sollte (Stufe 3, Einwehungen, steiles felsdurchsetztes Gelände im Hang). Die normalen Auf- und Abstiegsvarianten führen entweder über die Grüne Kuppe oder durch den Talboden des hinteren Ochsentales mit einem 20 minütigen Gegenanstieg zur Hütte. Leider ist es üblich geworden das durch eine Querfahrt über die Moräne im Bereich des jetzigen Sommerweges abzukürzen. Dies ist wegen der Steilheit des Geländes nicht nur aufgrund von Lawinengefahr problematisch, sondern birgt bei harschigem Frühjahrsschnee auch eine Absturzgefahr. In den offiziellen Karten ist dies nicht als Winterroute eingezeichnet, es kursiert jedoch mit ziemlicher Sicherheit der eine oder andere GPS-Track im Netz und meist gibt es auch verlockende Spuren. Von unserer Seite muss für den Winter wohl noch mehr auf die empfohlenen Varianten und auf die potentiellen Gefahren bei der Abkürzung hingewiesen werden.
externe Links:
ORF Bericht zu diesem Unfall
UPDATE: OSTERMONTAG
Der Verschüttete wurde aus dem Krankenhaus entlassen. Laut Auskunft der Ärzte besteht eine gute Chance, dass keine Spätfolgen zurückbleiben werden.